Peter Matussek

Von der Schwierigkeit, Wissenschaft zu publizieren (I)

 


Erschienen in: PAGE 2 (1992), S. 52–55.

 

     
 

Aus Kostengründen delegieren immer mehr Verlage das Erstellen von Druckvorlagen an DTPBüros oder direkt an die Autoren. Doch mit den wegrationalisierten Schriftsetzern bleibt oft auch das typografische Knowhow auf der Strecke. Insbesondere wissenschaftliche Publikationen sind wegen ihrer niedrigen Auflage von dieser Entwicklung betroffen. Die Gewohnheiten der Schreibmaschinen­-Ära schlagen – meist unbemerkt von den satzunerfahrenen Produzenten – auf das Endprodukt durch. In einer dreiteiligen Serie gibt PAGEAutor Peter Matussek praktische Hinweise zur Gestaltung wissenschaftlicher Publikationen für Nichtprofis.

 

Wissenschaftsprosa zu verlegen ist ein Job für Idealisten. Sie ist aufwendiger in der Herstellung und hat im Durchschnitt weniger Leser als ihre Konkurrentin, die Poesie. Davon konnten selbst Goethes Verleger schon ein Klagelied singen. Der naturforschende Dichter, der partout ein dichtender Naturforscher sein wollte, stellte geradezu ruinöse Forderun­gen an den Buchdruck. Seinen "Beiträgen zur Optik" beispielsweise ließ er allerlei Zeichnungen und Kärtchen beifügen, oben­drein eine Riesentafel in Folio – koloriert, versteht sich.

Die Auflagenhöhe war entsprechend. Die Kassetten mit dem bunten Beiwerk sind nicht erst heute absolute Raritäten. ja, vieles von dieser spröden Materie – und es gab viel spröde Materie bei Goethe – wäre wohl überhaupt nicht erschienen, wenn er seine Verleger nicht mit einem Trick geködert hätte: Der ehrgeizige Autodidakt der Natur­wissenschaften, dem sein Ruhm als Poet relativ gleichgültig war, der es aber nicht verschmerzte, daß man ihn im physikali­schen Handbuch seiner Zeit überging, ließ sich "im Paket" einkaufen. Erfolgsstoffe wie "Götz" oder "Werther" stehen nun in den Ge­samtausgaben neben Ladenhütern wie zum Beispiel dem "Ersten Entwurf einer allge­meinen Einleitung in die vergleichende Ana­tomie, ausgehend von der Osteologie".

Zwar hat sich die Verlagslage im Wissen­schaftsbereich seit damals erheblich gebes­sert, aber ein lukratives Geschäft sind sie nicht, die Monographien, Dissertationen und Habilitationen. Was in exklusiven Fach­kreisen höchstes Lob finden mag, ist gerade seiner Exklusivität wegen umsatzschwach. Um also die Ladenpreise einigermaßen er­schwinglich zu halten, heißt es Herstellungs­kosten sparen. Deshalb lautet heute die Gretchenfrage an die Verleger: Wie hältst Du's mit der Reproduktion?

Unfaustisch direkt ist die Antwort bei den klassischen Dissertationsverlagen wie Kö­nigshausen & Neumann, Peter Lang oder Carl Winter. Für sie ist die Annahme von Reprovorlagen aus wirtschaftlichen Erwä­gungen eine Notwendigkeit. Das merkt man dem laienhaften Schriftbild der Endproduk­te denn auch leider allzuhäufig an. Schön­heit kostet eben ihren Preis – und den kön­nen sich diese Verlage, die mit Auflagen­höhen von wenigen hundert kalkulieren müssen, einfach nicht leisten. Auch ohne Manuskriptbearbeitung müssen sie trotz Druckkostenzuschuß 60 bis 100 Mark und mehr für ihre Bücher nehmen.

Die Großen der Branche hingegen, die sich oft schon genieren, wenn man ihnen das Armutszeugnis "Wissenschaftsverlag" aus­stellt, winden sich noch, wenn ihre Autoren mit Diskette oder Laserprint daherkommen. Neusatz ist alles bei Suhrkamp und seines­gleichen. Damit aber der sich rechnet, sprich: damit der Preis unter der Laden­hüterMarke von 60 Mark liegen kann, muß die Auflage weit über die tausend hinaus­gehen. Schon der Lichtsatz ab Diskette ver­ursacht 70 bis 90 Prozent höhere Kosten gegenüber dem fotomechanischen Druck­verfahren – vorausgesetzt die Datei ist satzfertig, was zumal bei Doktoranden, die meist mit billigen Textsystemen arbeiten, noch eine Utopie ist.

Obwohl bereits seit etlichen lahren die technischen Möglichkeiten bestehen, anspruchsvolle elektronische Druckvorlagen am heimischen PC zu erstellen, vermag sie kaum einer zu nutzen.

Diese Kluft indessen ebnet sich mit sinkenden Gerätepreisen und der Verfügbarkeit guter Software zusehends ein. Und das spricht sich allmählich auch in renommierten Häusern herum. Wilhelm Fink und Metzler etwa sind bei niedrigeren Auflagen inzwischen durchaus bereit, gut gestaltete Manuskripte ab Laserdruck weiterzuverarbeiten.

Ein neues Argument macht die Runde, das den Verzicht auf Lichtsatz zugunsten der kostengünstigeren Variante rechtfertigen soll: daß es bei wissenschaftlichen Publikationen nicht in erster Linie auf ästhetische Vollendung ankomme. Das mag hinsichtlich der Entscheidung zwischen Lichtsatz und Reproduktion akzeptabel sein, zumal die optischen Differenzen zwischen beiden Verfahren – unter anderem dank einer auflösungssteigernden Verkleinerung bei der Belichtung – mittlerweile nicht mehr allzu groß sind (siehe die Abbildungen auf der nächsten Seite).

Nicht akzeptabel ist dieses Argument aber hinsichtlich der Qualität der Belichtungsvorlage. Und hier ist das Autorengewissen gefragt, Einsparungen beim professionellen Schriftsatz durch Eigeninitiative so gut es eben geht wettzumachen.

Anstatt die ökonomisch erzwungene Rückverlagerung der Verantwortung vom Setzer auf den Autor zu bejammern, wie das in medienkritischen Büchern häufig geschieht, gilt es, auch die möglichen Vorteile dieses Prozesses zu erkennen und zu realisieren. Denn der Neusatz von Manuskripten bedeutet schließlich immer auch ein Stück Entfremdung von den Darstellungsabsichten des Autors Überdies geschieht es in der Praxis häufig, daß orthographische Fehler in den Satz geraten, die vorher gar nicht da waren – und unbemerkt den Korrekturdurchgang überstehen. Die vom Computer gestiftete Kontinuität zwischen Schreiben und Setzen eliminiert also mögliche Ungereimtheiten.

Freilich auch das kompetente Eingreifen von Satzprofis. Wer sich nie selbst um den Drucksatz seiner Texte kümmern mußte, weil ihm die Verlage das abnahmen, der schreibt auch am Computer, als handle es sich um eine Schreibmaschine. Klobige Fußnotenziffern, falsche Anführungs und Auslassungszeichen, Unterstreichungen statt Kursivierungen, Zentrierungen per Leertaste und andere Dilettantismen sind die Folge.

Aber selbst wer schon ein wenig mit dem neuen Medium vertraut ist, stürzt in Abgründe, die auf den unreflektierten Umgang mit den Bequemlichkeiten eines Computers zurückzuführen sind: Zwar verwendet er keine harten Trennungen mehr, aber seine automatische Silbentrennung schlägt häßliche Wunden in das Schriftbild; er variiert die Schriftgrößen, aber läßt dabei das Gefühl für Proportionen vermissen. Muß also jeder Autor ein Zweitstudium an der Fachhochschule absolvieren, um als Produzent seiner Druckvorlagen zu reüssieren?

Der Philologieprofessor, der gerade mühsam den Wechsel von der Adler zum Atari geschafft hat, wird sich bedanken und seine Diskette lieber in eines der DTPBüros tragen, die sich wie ein fester Kordon um den Campus seiner Universität gelegt haben. Und wieder gibt es ein Transferproblem. Denn der DTPler muß die abgelieferten Disketten zunächst von den erwähnten Dilettantismen bereinigen, was in Einzelfällen sogar mühsamer als neues Abschreiben ist. Genervte Profis bitten deshalb ihre Kunden, Auszeichnungssversuche an ihren Dateien gleich ganz sein zu lassen und sie nur auf Papier vorzunehmen.

Aber mit welcher Codierung? Mit Struktext vielleicht, der standardisierten Manuskriptauszeichnungssprache, die vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels und dem Bundesverband Druck für elektronische Manuskripte entwickelt wurde? Die ist auch nicht leichter zu erlernen als der entsprechende Befehisvorrat im Schreibprogramm. Da sind direkte Absichtsbekundungen im Schriftbild à la Wysiwyg doch eingängiger.

Warum dann nicht gleich alles selbst machen? Die Nachteile der Unmündigkeit sind nicht dadurch zu beheben, daß man Verantwortung abtritt. Das schafft nur neue Abhängigkeiten. Auch erfahrene Desktop Publisher können nicht immer alle Schwachstellen eines Manuskripts vorhersehen. Sie vollziehen eben jeweils die Umgestaltungen, die ihnen im Einzelfall erforderlich scheinen. Würde man einen Tausendfüßler fragen, wie er sich fortbewegt, würde der bald ins Stolpern geraten. Ähnlich verhält es sich mit der Frage an einen professionellen Setzer, wie er eine Druckvorlage erstellt. Von den tausenderlei Kleinigkeiten, die es da zu beachten gilt, werden die meisten intuitiv, aus Erfahrung entschieden. Und das steht nicht immer im Einklang mit den Erwartungen der einzelnen Verlage.

Die wiederum sind in aller Regel selbst noch nicht darauf vorbereitet, ihre impliziten Erwartungen in Form von DTPRichtlinien explizit zu machen. Über einen Satzspiegelvordruck, eventuell noch mit Angaben über die Schriftgröße, gehen die Instruktionen für die Manuskriptgestaltung oft nicht hinaus. Die Situation, daß technisch perfekte Laserdrucke eingereicht werden könnten, ist doch zu neu, als daß die Verlage entsprechend präpariert wären. Erst bei Abgabe der Belichtungsvorlage entspinnt sich ein – manchmal schier endloser – Dialog darüber, was noch alles geändert werden müßte.

Doch auch hier gibt es Zeichen eines Umdenkens in Richtung Autorenautonomie. Wer zum Beispiel bei Duncker & Humblot oder Springer veröffentlicht, bekommt immerhin ein detailliertes Merkblatt in die Hand. Etwas ausführlicher instruiert Peter Lang seine Autoren. Eine kleine Broschüre beschreibt die wichtigsten Voraussetzungen, die ein satzreifes Manuskript erfüllen sollte.

Allerdings sind die Richtlinien des Dissertationsmultis immer noch weit davon entfernt, den Bibliophilen zufriedenzustellen. Bei der Reihenfolge der "Titelei" etwa hält sich Peter Lang mechanisch an die unglückliche Duden-­Anweisung "Vorwort vor dem Inhaltsverzeichnis", die in der Praxis selten zu finden ist. Auch daß typografische Anführungszeichen und Bindestriche nicht verlangt werden oder die Fußnotenziffern in den angegebenen Beispielen so groß wie die Grundschrift sind, deutet auf Zugeständnisse an kostensparende Einfachheit hin nicht zuletzt im Interesse jener Autoren, die sich sagen: Hauptsache veröffentlicht.

Ein Wissenschaftsautor, der mehr will, kann sich natürlich auf eigene Faust kundig zu machen suchen. Unweigerlich gerät er dann aber in das Dilemma, entweder – mit leichter Kost abgespeist – so klug zu bleiben wie zuvor oder sich mühsam in die Fachliteratur einer hochdifferenzierten Kulturtechnik einlesen zu müssen. (Eine kommentierte Literaturliste folgt im dritten Teil dieser Serie.) Was er sucht, nämlich eine praxisnahe Anleitung, um sein Manuskript auf Vordermann zu bringen, wird er kaum finden.

Wenn ich daher im folgenden einige praktische Hinweise zur Manuskriptgestaltung gebe, so erhebe ich damit selbstverständlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder gar auf Verbindlichkeit. jeder Text stellt seine eigenen Anforderungen an das Schriftbild, aber gleichwohl lassen sich anhand von Beispielen einige typische Probleme aufzeigen.

Mein Schnellkurs richtet sich sowohl an DoityourselfAutoren, die nicht den Ehrgeiz haben, professionelle Setzer zu werden, als auch an Desktop Publisher, die im Wissenschaftsbereich tätig sind und Anregungen suchen, wie sie ihre Kunden oder Mitarbeiter per Merkblatt instruieren könnten, um nicht immer wieder dieselben Predigten halten zu müssen – oder gar entnervt in Gleichgültigkeit zu versinken. Denn manche Schriftbildverbesserung, vor der man aus Kostengründen zurückscheut, ist weniger eine Sache des Arbeitsaufwands als der Arbeitsorganisation.

Daß ich bei meinem Beispiel von einem Text ausgehe, der in Microsoft Word (Version 4.0d für den Macintosh) angelegt ist, hat zwei Gründe: Zum einen entfällt der Transfer von der Textverarbeitung in dezidierte DTPProgramme, deren Handhabung weitaus weniger Autoren wissenschaftlicher Texte geläufig ist. Zum anderen möchte ich das verbreitete Vorurteil widerlegen, daß man mit avancierten Textverarbeitungen keine zufriedenstellenden Druckvorlagen erstellen könne. Falls nicht grafikintensive oder sonstwie künstlerisch ambitionierte Layouts erforderlich sind, ist eine gute Textverarbeitung sogar zweckmäßiger. Denn Basisfunktionen wie etwa Fußnotenverwaltung, automatisches Inhaltsverzeichnis, lebende Kolumnentitel, ja auch Tabellen mit unterschiedlichen Strichstärken sind hier längst "zu Hause".

Optimal ist natürlich, wenn das Manuskript schon beim Schreiben Druckformate für die verschiedenen Textelemente zugewiesen bekam. Formatänderungen können dann global erfolgen. Das ist aber nicht der Normalfall. In der Praxis ist eher davon auszugehen, daß ein Manuskript die oben erwähnten Spuren von SchreibmaschinenGewohnheiten trägt. Die müssen erst einmal verschwinden. Denn ein Manuskript, bei dem zum Beispiel die Überschriftenabstände durch Leerzeilen oder gar Einrückungen durch Leerzeichen gestaltet sind statt durch Absatzformate, entzieht sich der Kontrolle globaler Formateinstellungen.

Mein Beispiel ist ein Fall aus der Praxis. Der Hamburger Literaturwissenschaftler Hartmut Böhme hat ein wunderschönes Buch über das Werk Hubert Fichtes geschrieben, das der MetzlerVerlag im Reproduktionsverfahren publizierte. Weniger akribisch als Böhmes Studie war zunächst sein Schriftbild – nicht zuletzt, weil die dürftigen Angaben des Verlags zur Manuskriptgestaltung etliche Fragen offen ließen. Vorgegeben war lediglich der Satzspiegel, der für den Textblock eine Breite von 11 Zentimetern und eine Höhe von 17 Zentimetern verlangte. Diese Maße sollten aus einer um 20 Prozent verkleinerten Ablichtung eines Laserdrucks resultieren. Solche Verkleinerungen sind sinnvoll, denn sie erhöhen die relativ geringe Auflösung von 300 dpi und reduzieren den sogenannten Sägezahneffekt. (In den meisten Fällen wird von A4 auf A5 verkleinert, was zirka 30 Prozent entspricht). Ich bekam also einen dieser Anrufe, die mit dem Satz beginnen: "Bist du gerade sehr beschäftigt?"

Bevor wir mit dem Layout begannen, galt es zunächst, die geeignetste Schrift zu wählen (siehe Abbildungen links). Grundsätzlich empfiehlt sich für wissenschaftliche Veröffentlichungen eine Serifenschrift. Die kleinen Abschlußstriche an Kopf und Fuß der Buchstaben machen das berühmte Kleingedruckte, aus dem Buchtexte nun mal bestehen, leichter lesbar als bei einer serifenlosen Grotesk, weil sie dem Auge eine Linienführung geben. In wissenschaftlichen Publikationen kommt denn auch meist die MacStandardschrift Times zur Anwendung.

Natürlich empfahl ich ihm, sich nicht mit solcher Hausmannskost zufriedenzugeben. Also probierten wir ästhetisch anspruchsvollere Schriften aus, zum Beispiel die harmonischer geformte Sabon.

Für einen Exzentriker wie Hubert Fichte schien uns das Ebenmaß der Sabon aber zu schlicht. Deshalb machten wir einen Probedruck mit der ausdrucksstärkeren Stone Serif. Das ist die frühere PAGESchrift, die aber durchaus auch wissenschaftliche Texte angemessen repräsentieren kann.

Allerdings schien uns dieses Schriftbild für den gegebenen Zweck wiederum zu ästhetizistisch. Um also einerseits der Frische Fichtes gerecht zu werden und andererseits den Eindruck der Sachlichkeit zu vermitteln, entschieden wir uns für die Garamond, deren relativ große Versalhöhen elegant, aber nicht manieriert wirken.

Nun ging es an die Bestimmung der Schriftgröße. Hier galt es zu beachten, daß die Schriftgrade unterschiedlich ausfallen. So kann zum Beispiel die Verlagsvorgabe von zehn Punkt Grundschrift für eine Times angemessen, für die feinere Garamond aber bereits problematisch sein. Andererseits wollten wir Seiten sparen und einigten uns nach einigen Experimenten mit dem Verlag darauf, daß eine ElfPunktGaramond vor Verkleinerung gerade noch vertretbar sei einschließlich der um zwei Punkt kleineren Fußnotentexte Für die Fußnotenziffern gingen wir sogar auf acht Punkt herunter.

Die Lesbarkeit eines Textes bestimmen allerdings nicht allein die Schriftart und die Schriftgröße, sondern ganz entscheidend auch der Durchschuß. Die Zeilenhöhe sollte nach einer Faustregel rund 120 Prozent des Schriftschnitts betragen – in unserem Fall waren das also 13 Punkt. Bei den Fußnoten begnügten wir uns mit einem Punkt für den Durchschuß, wobei wir allerdings zur besseren Abhebung der einzelnen Fußnotentexte voneinander noch einmal einen Punkt zulegten.

Dann erstellte ich eine Tätigkeitsliste für die studentische Hilfskraft. Wie die aussah (nicht die Hilfskraft, sondern die Liste), steht in der nächsten Folge.