Peter Matussek

Die Entelitifizierung des Schreibens.

Ein kleines Nachwort zur Ära des Schriftmeisters

 


Erschienen in: die tageszeitung, 29.7.1988, S. 12f.

 

     
 

Anfangs mochte es ja noch als ein Zeichen für standesbewußtes Literatentum gelten, die gute alte Adler einem dieser Ataris vorzuziehen. Inzwischen signalisiert es nur mehr larmoyante Gestrigkeit. Die Elektrifizierung des Schreibens ist salonfähig geworden und damit auch ZEIT-gemäß. Dieter E. Zimmer - viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt - verkündet am 8. Juli 1988 vom heiligen Berg des deutschen Feuilletons sein Kleines Vorwort zur Ära des Schreibcomputers. Es bringt auf den Punkt, was wie ein Ruck durch die Zunft geht: Der Siegeszug des Textcomputers wäre nur noch aufzuhalten, wenn der ganzen zivilisierten Menscheit ein für allemal der Strom abgestellt wird.

Das ist die Lage. Und ist es denn gut so? Beachten wir gut des Propheten Antwort auf diese Frage. Denn sie gibt uns verbindlche Auskunft darüber, wie man als homme de lettres den Advent des Schreibcomputers besteht.

Zunächst: Es ist gut so. Man nutzt ja höchstselbst so ein plebejisches, wenngleich ingeniöses Textprogramm. Und da nicht sein kann, was nicht sein darf, stellen wir fest, daß der Computer den Geist seiner User keineswegs normt, keineswegs standardisiert, sondern daß jeder seine ureigene Art hat, mit ihm umzugehen, sich durch ihn auszudrücken. Psychologische und medienkritische Studien über den Einfluß des Computers auf das Denken brauchen uns nicht zu kümmern, denn unsereins ist immun. Sprachlicher Niveauverlust, den wir bei anderen gerne bemängeln, ist natürlich nicht die Schuld des Computers an sich, sondern die seiner Benutzer.

Und da haben wir den Störfall der neuen Schreibtechnik: es sind die Leute, die mit ihr auf verdächtig vertrautem Fuß stehen. Die Wurzel allen Übels ist, daß die Maschine, die da im Mittelpunkt steht, vorzugsweise jene Intelligenzen anzieht, die früher Radiobastler oder Amateurfunker geworden wären - und von Literaten insgeheim für Analphabeten gehalten werden.

Fremde Intelligenzen suspekter Herkunft unterwandern den Geheimbund der Literaten, betreten dessen heiligen Bezirk: die Sprache. Die Jungs von der Fensterbank, die in Deutsch immer eine Vier hatten, ... sitzen plötzlich als Experten am Schreibtisch, sind Autoren und Redakteure und Chefredakteure gar, dazu berufen, einem gebannten Publikum geschriebene Kunde zu bringen von den Innereien ihrer hochkomplizierten Maschine - und so liest es sich dann auch."

Chefredakteure gar, gebanntes Publikum - das geht nun wirklich zu weit! Denn geschrieben steht: Diese Welt ist nicht die ihre.

Wie aber verhindern, daß der Computer doch noch zuwege brächte, was die '68er' Reformpädagogen nicht geschafft haben ? Wie soll man sich der sintflutartigen Computerliteratur erwehren?

Laßt uns eine Arche bauen! ruft der Prophet. Hinein darf nur, wer das gewisse - sagen wir 'mal Gefühl für Rechtschreibung hat. Und das sind natürlich nicht die Lümmel von der Fensterbank, denn die haben ja da hinten nichts mitgekriegt: Zum Beispiel ist vielen dieser Schreiber offenbar nie zu Ohren gekommen, daß zusammengesetzte Substantive wie 'Anwender Tip' im Deutschen eigentlich zusammengeschrieben werden, und wenn, wäre es ihnen auch egal.

So entlarven sie sich durch ihren Abfall vom rechten Dudentum. Habt ihr schließlich noch primitive Umbruchfehler (Absatzausgänge am Anfang einer Spalte), Wiederholungen und Non-Sequiturs bei ihnen gefunden, so werft sie unter dem Vorwand hemmungsloser (sprachlicher und nicht nur sprachlicher) Schluderei hinaus. Nur, wenn die Arche gut abgedichtet ist gegen das Mitredenwollen der Computerleute, können wir ihre Erfindungen würdevoll meistern.

Versuch und Irrtum - so navigieren wir mit der uns eigenen Intelligenz durch die Wunderwelt jener hochkomplizierten Maschinen: Wer ein Schriftstück, das er unter dem Namen TEXTCOMP abgespeichert hat, unter der Adresse COMPTEXT ausgegeben haben möchte, geht leer aus. Goethe non est Flöte, sequitur.

Haben wir also geduldig abgewartet, bis die Flut der informationstechnischen Aufklärungsliteratur zurückgegangen ist, dann macht uns ein philologophiler Gott zu Herren über die fruchtbare Erde der Computerkultur. Der Prophet hat ihre Beschaffenheit gründlich geprüft: Zuerst ist sie immer leer, eine bloße Drohung, ein bloßes Versprechen. Eines Tages wird sie mehr sein.

II.

Zimmers Oberlehrer-Attitüden sind keine individuellen Entgleisungen, sondern eine symptomatische Abwehrreaktion der Bildungselite auf die Popularisierung des Schreibens und Lesens, die heute durch den Computer einen neuen Schub erfährt. Schon immer fanden derartige Profanisierungstendenzen Ungnade in den Augen der Zunftmeister. Die 'Dialektik der Aufklärung' erkennt darin gar ein archaisches Ritual: "Schon wenn die Sprache in die Geschichte eintritt, sind ihre Meister Priester und Zauberer. Wer die Symbole verletzt, verfällt im Namen der überirdischen den irdischen Mächten, deren Vertreter jene berufenen Organe der Gesellschaft sind."

Und das setzt sich auf allen Stufen der Einführung neuer Publikationstechniken fort. Dogmatische Scholastiker mauerten ihren Schriftenkanon in Klöster und esoterisches Latein - und konnten die Reformation, bedingt durch Buchdruck und Bibelübersetzung, nicht aufhalten. Absolutistische Aufklärer zwängten die Sprache Luthers in Nachahmungsdoktrin und Regelpoetik - die das Ausdrucksbegehren des Sturm und Drang, beflügelt durch neue Vermarktungschancen, nicht zügelten.

Die deutsche Literatur erblühte trotz - nein wegen ihrer Verstöße gegen das verschulte Kathederdeutsch. Goethe, dem das "Gefühl für Rechtschreibung" gründlich abging, überließ das Korrigieren den insgeheim verachteten Schulmeistern und Philologen: "Apollo Sauroktonos, immer mit dem spitzen Griffelchen in der Hand aufpassend, eine Eidechse zu spießen". Seine Sache war die Poesie. Erst die wilhelminischen Zwangsbildungsanstalten machten sie zur Disziplinarmaßnahme in der Hand von Deutschpaukern, die dem eigenwilligen Sprachgeist eine Vier verpaßten, auf daß er sich nicht rühre.

Nietzsche erkannte in solchem Ressentiment der Kulturhüter die Merkmale des Bildungsphilisters. Die Elitifizierung neuer Schreibtechniken war ihm fremd. Als der vor Kurzsichtigkeit nahezu Erblindete in den Genuß einer der ersten Schreibmaschinen kam, da hämmerte er begeisterte Aphorismen in die Tasten. Auch Lapidares: "Unser Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken."

Fürwahr eine triviale Einsicht. Marshall McLuhan verkürzte sie billig zur Formel "medium=message" - eine Gleichung mit zwei Unbekannten, die das qualitative Moment sprachlichen Eigensinns unterschlägt. Schon von Mitbestimmung des Mediums an der Message allerdings möchte man in den Chefetagen der Kulturpflege nichts wissen. Denn wo bliebe der Mythos des schöpferischen Ingeniums, wenn heteronome Kräfte ihn bedingen sollten?

Da es aber nun einmal da ist, das neue Schreibzeug, identifiziert man sich mit dem Aggressor und macht so weiter wie bisher: Die Orthographielehre als Hüterin des literarischen Numerus Clausus.

Diese Abgrenzungsstrategie geht im Zeitalter des Computers mehr denn je daneben. Denn pedantische Korrektheit, das ist seine Welt. Weit besser als die gottlob sprachlich freieren Literaten überleben in ihr die geschmähten Macher der Hard- und Software, deren Algorithmen sich kein Jota rauben läßt.

Wiederkehr des Verdrängten: Das ungewohnte Schreibgerät hat Zimmer just die Wortwiederholungen (dazugehörige ... dazu ), Grammatikverstöße (Fragt man die mit ihm arbeiten ) und Umbruchfehler ("Schusterjunge", überflüssiger Trennstrich) machen lassen, die er als Indizien der angeblichen Unbildung anderer so erbarmungslos verfolgt. Ein letzter sympathischer Rest von Humanität. Denn moderne Textprogramme mit ihren Umbruch-, Rechtschreib- und Stilkontrollen beheben solche Fehlbarkeit in Zukunft automatisch.

Nein, der Schludereivorwurf prallt am Computer und denen, die ihn zu nutzen wissen, ab. Schriftsteller, die nicht von dünkelhaften Verdrängungsängsten geplagt sind, stehen zu den Katalysatoren ihrer Kreativität. Schiller hatte seine faulen Äpfel - Friedrich Christian Delius seinen Apple Macintosh. Und gesteht freimütig, daß ihn "der Wortprozessor stimuliert. Weil der Vorgang des Tippens schneller geht, fliegen die Gedanken in anderen Rhythmen auf den Bildschirm/auf Papier. Anfangs hatte ich die Befürchtung, ich könnte mich zu schnell mit dem erschreckend sauber Geschriebenen zufriedengeben. Aber das Mißtrauen gegen den immer druckreif scheinenden Text fördert aufs schönste die Leidenschaft des Änderns und Besserns."

Aber nicht nur Profis sind infiziert. Die Faszilitäten des elektronischen Publizierens wecken den schlummernden Ausdruckswillen vieler, die von gewissen Literaten insgeheim für Analphabeten gehalten werden. Kürzlich schickte mir ein Schüler das von ihm herausgegebene 'Dortmunder Jugendmagazin': Perfektes Layout, vortreffliche Sprache.

Der Junge hatte in Deutsch immer eine Vier. Enthusiasten sehen in solchen Beispielen die Vorboten einer literarischen Hochkonjunktur. Hämisch prognostiziert der Schriftstller und Literaturwissenschaftler im Nebenberuf, Gundolf Freyermuth, das Ende der parasitären Philologie. Peter Glaser prophezeit mir gar eine "neue Geniebewegung".

III.

Also alles bestens? High Text dank High-Tech? Was die einen anregt, macht anderen Angst. Jürg Laederach, selbst mit einem Textverarbeitungssystem ausgerüstet, glaubt, daß er dessen Perfektibilität mit der "Heimatlosigkeit des Schreibenden" bezahlt: "Der Computer nimmt dem Text seine spezifische Aura. Die Entstehungsgeschichte kann aus den Korrekturen nicht mehr gelesen werden. Der Computer ist ein hilfreiches Instrument. Der Preis seines Dienens, seiner Bedienung heißt Entfremdung."

Auch Zsuzsanna Gahse gesteht, daß sie mythischen Schauder empfindet, den sie mit animistischer Personifizierung - "Du bist mein Stromer" - zu bannen sucht: "Diese Freundlichkeiten sind nicht ehrlich empfunden, sie sind nur Beschwichtigungsversuche, und was bleibt anderes übrig, als die tote/mechanische Umgebung zu beseelen."

Stimulation oder Standardisierung - die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Input folgt Gesetzen, die wir noch nicht kennen. Eine unreflektierte Adaption der neuen Schreibware, legitimiert durch den Gemeinplatz, sie sei ja nur ein Werkzeug und auf die Individualität des Benutzers komme alles an, wäre in den Augen der amerikanischen Computerpsychologin Sherry Turkle fatal: "Debatten über die Einzigartigkeit des Menschen auf der Basis dessen, was Computer nicht können, machen uns verwundbar gegenüber dem technischen Fortschritt und gegenüber dem, womit Ingenieure eines Tages möglicherweise aufwarten werden."

Dieser Tag ist näher, als elitäre Literatenignoranz zu sehen imstande ist. Längst ist der Textprozessor nicht mehr nur eine raffiniertere Version seines mechanischen Vorgängers. Neue Schreibtechniken geben neue Fragen auf:

- "Ideenprozessoren" erleichtern das Strukturieren von Texten. Mechanisiert das unser Gefühl für Konzeption?

- Dialogschnittstellen lassen eine neue literarische Gattung entstehen, die "Interactive Fiction". Welche Poetik liegt ihr zugrunde?

- Der "Roman zum Mitmachen" im Computernetzwerk ebnet die traditionelle Kluft zwischen Autor und Leser ein. Auch den Werkcharakter?

-"Hypertext"-Programme verknüpfen Schriftstücke zu einem parataktischen "Story-Space". Verliert das Schreiben seine kompositorische Stringenz; dissoziiert sich die Lektüre im Labyrinth der Lesarten?

-"Poetry-Processing"-Software analysiert und produziert Gedichte. Wird Stanislav Lems Geschichte vom Elektrobarden wahr, dem seine arbeitslos gewordenen Kollegen nicht mehr den Strom abstellen können, weil sein Schwanengesang so unwiderstehlich ist?

So herbeigeholt und vielleicht absurd diese Fragen manchem scheinen mögen - sie zu stellen heißt letzte Einflußmöglichkeiten geltend zu machen. Denn es finden Veränderungen statt, deren Bedeutung wir kaum überschätzen können.

Und sie kommen still und leise daher. Während standesbewußte Literaten noch die von ihren Textcomputern unbefleckte Empfängnis sprachlicher Eingebungen beschwören, arbeitet der Forschungsgigant GMD mithilfe künstlicher Intelligenz an einem Eingabegerät mit dem ahnungsvollen Titel "Ghostwriter" .

Statt die technischen Intelligenzen elitär abzukanzeln, sollte man lieber in gegenseitiger Nachhilfe überlegen, wie ein literarischen Interessen angemessener Textcomputer programmiert sein sollte.

Die Entelitifizierung des Schreibens - eine bloße Drohung?