In: die tageszeitung, 8.10.1999, S. 20.

 


Peter Matussek/ Margarete Steffen

"Die digitalen Medien verändern uns".

Ein Gespräch mit dem Berliner Kulturwissenschaftler Peter Matussek über den Einfluss des Internets auf Lebensweisen, Wahrnehmungen und den Alltag an den Universitäten.

 

     
 

Warum flammen bei medialen Revolutionen immer wieder aufgeregte Debatten auf?

Aus Angst vor dem Unbekannten. Die führt zu Dämonisierungen. Bei früheren Medienwechseln war das nicht anders. "Bücher machen lahmärschig und kurzsichtig", so hat Blumenberg die Lesekritik der ersten Stunde einmal zusammengefaßt. Verblüffend Ähnliches hört man heute über die Mobilitäts- und Realitätsverluste durchs Verharren am Computer. Und das ist ja nicht nur falsch. Jedes Medium verändert die bisherigen Wahrnehmungs- und Lebensweisen.


Worum geht es jetzt?

Das Internet ist zu einem Teil unseres Alltags geworden. Das ist offensichtlich, und doch begreifen wir die Auswirkungen noch zu wenig. Weil man bisher, im Bann des Neuen, zu einseitig auf das geheimnisumwitterte Innenleben der "Elektronengehirne" gestarrt hat. Computer dienen aber heute nicht mehr nur dem Speichern und Abrufen von Informationen, sondern unterschiedlichsten Formen der Interaktion. Das Internet ist ein Erfahrungsraum, in dem sich neue Riten des Alltags ausbilden, mit neuen Erlebnissen von Körperlichkeit, von Identität und Intimität. Wie digitale Medien uns verändern, ist an den Schaltplänen und Algorithmen allein nicht abzulesen. Gerade das Interface, die Benutzer-"Oberflächen" sind es, die mit ihren Simulationsästhetiken unser In-der-Welt Sein zutiefst berühren. Allerdings erkennen wir die neuen Existenzbedingungen erst, wenn wir ihre Vorgeschichte untersuchen. Die Kulturwissenschaftler sprechen hier von einer historischen Anthropologie medialer Praktiken.

 

Gibt es für Dozenten noch ein Entkommen vor den neuen Medien?

Ja, es gibt ein Leben vor dem Bildschirm. Aber zumindest für die nachwachsende Wissenschaftlergeneration gilt, daß sie ohne Vernetzung aufgeschmissen ist. Im übrigen läßt sich auch vom befremdeten Blick eines Distanzierten manches lernen, was der Nahsicht des "Insiders" entgeht. Was natürlich nervt, sind die Leute, die mit ihrer Unkenntnis kokettieren und sie für einen Ausweis ihrer Hochbildung halten.

 

Wird das Internet die Präsenz-Universitäten bedeutungslos machen?

Im Gegenteil. Es ist eine enorme Ergänzung und Erweiterung von Forschung und Lehre, nicht deren Ersatz. Leider sind manche Investitionsprogramme von der Milchmädchenrechnung inspiriert, man könne Pädagogen einsparen, wenn man PCs anschafft. Es reicht aber nicht, Computer aufzustellen und zu sagen: "Nun lernt mal schön aus dem tollen Internet". Ohne Anleitung zum Nachdenken über das eigene Tun reduziert sich Medienkompetenz aufs Knöpchendrücken. Solange wir den Cyberspace als gegeben hinnehmen und nicht als etwas Gestaltetes und Gestaltbares, bleiben wir Versuchstiere.

 

In welchem Verhältnis stehen die Anschaffungskosten für Computer zu denen für die Ausbildung der Studenten?

Die Unis haben zweifellos einen großen Bedarf an sogenannter Rechentechnik, also Equipment zur Produktion und Präsentation mulitmedialer Daten. So benötigen wir dringend mehr Computerarbeitsplätze für studentische Projekte und Big Screens für die Seminarräume. Aber es wäre eine Fehlinvestition, teuren High-Tech-Bombast anzuschaffen, wenn dafür an Personal für Vermittlung und Wartung gespart werden muß. Man sollte die Geräte besorgen, die jeweils als "Lo-Tech" gelten und unseren medialen Alltag bestimmten. Darunter verstehe ich allerdings keine schlappen Spielkonsolen, sondern leistungsfähige Multimedia-Maschinen. Addiert man hierzu die entsprechende Reflexionskompetenz, geht die Rechnung auf.