Peter Matussek

Gelebter Wahn. Prekäre Biographien aus zwei Jahrhunderten

 


Königshausen & Neumann: Würzburg 2011 [im Druck].


     
 

Dass Genie und Wahnsinn ‚irgendwie‘ zusammenhängen, ist ein Gemeinplatz, der von den antiken Inspirationslehren bis zur psychiatrischen Kreativitätsforschung unserer Tage reicht. Doch was ist der Preis für einen erfolgreich gelebten Wahn? Das vorliegende Buch führt an sieben Psychogrammen berühmter Künstler, Wissenschaftler und Machtmenschen aus zwei Jahrhunderten eindringlich vor Augen, dass der Weg zu außerordentlichen Leistungen eine prekäre Gratwanderung ist. Dem Absturz entgeht nur, wer außerordentliches Leid für sich und andere in Kauf nimmt.

Die Lebenswege von Franz Grillparzer (1791–1872), Camille Claudel (1864–1943), Carl Gustav Jung (1875–1961), Adolf Hitler (1889-1945), Martin Heidegger (1889–1976), Axel Cäsar Springer (1912–1985) und Glenn Gould (1932–1982) werden anhand biographischer Schlüsselszenen analysiert und in einem ausführlichen Einleitungskapitel auf psychodynamische Strukturen zurückgeführt, die ein neues Licht auf das komplizierte Wechselverhältnis von Genialität und Wahnsinn werfen.

Das zugrundgelegte Psychosenmodell geht davon aus, dass jeder Mensch über private und öffentliche Selbstanteile verfügt, zwischen denen er situationsgerecht zu wechseln hat; verlagert sich dieser Balanceakt auf einen der beiden Pole, droht die Psychose: im einen Fall als depressiver Rückzug von der Welt, im anderen als schizophrener Drang nach Weltruhm. Entwickelt hat es der namhafte Psychiater und Leiter der Forschungsstelle für Psychopathologie und Psychotherapie in der Max-Planck-Gesellschaft Paul Matussek († 2003). Sein Neffe, der Kulturwissenschaftler und Lehrstuhlinhaber für Medienästhetik, Peter Matussek, hat im Laufe ihrer zehnjährigen Zusammenarbeit die biographischen Modellanalysen ausgearbeitet. Für den vorliegenden Band hat er sie gründlich überarbeitet, auf den neuesten Forschungsstand gebracht und mit einer ausführlichen Einleitung versehen.

Die hier vorgestellten Befunde erhalten ihre besondere Aktualität durch den sich abzeichnenden Bankrott der modernen Leistungsgesellschaft mit ihren fehlgeleiteten Anreizsystemen sowie durch die von den neuen Medien forcierte Entdifferenzierung des öffentlichen und privaten Selbst, die zu dramatischen Identitätsverlusten führt.