Peter Matussek

Thesaurus

 


Erschienen in: Pethes, Nicolas / Ruchatz, Jens (Hg.): Gedächtnis und Erinnerung; Reinbek bei Hamburg 2001, S. 576-577

 

     
 

(griech.: thesaurós: Schatz, Schatzhaus); systematisch geordnete Sammlung von Wissensnotaten. In der Geschichte der –> Gedächtnismetaphorik fand T., analog zum griechischen Doppelsinn des Wortes, sowohl für die Memorabilia wie auch für deren Merkorte (–> Loci-Methode, –> Mnemotechnik) Verwendung. Seit dem Mittelalter nannte man den in einem Wörterbuch niedergelegten „Sprachschatz“ T., was beide Bedeutungsaspekte des Begriffs vereint. Auch der universalwissenschaftliche Anspruch der lullistischen ars combinatoria und der –> Gedächtnistheater der Renaissance, das gesamte Weltwissen nicht nur zu indizieren, sondern zugleich auch zu repräsentieren, hielt am Doppelcharakter des T.-Begriffs fest (–> Repräsentation, –> Wissen). Der frühneuzeitliche Nominalismus ließ das metaphysische Fundament der Einheit von Begriff und Sache wegbrechen. Zwar glaubte noch Leibniz an die Möglichkeit eines T. omnis humane cognitionis, doch war dieser nur mehr als Fundstellenverzeichnis gedacht (–> Katalog). Der Erfahrungsdruck der neuzeitlichen Wissensakkumulation sprengte zunehmend auch diese topologisch reduzierte Fassung des T.-Prinzips zugunsten temporaler Darstellungsformen (–> Topik). Mit der Einführung rechnergestützter Informationssysteme allerdings kam das Wort wieder in Gebrauch: als Terminus für ein thematisch spezifiziertes, klassifikatorisches Verzeichnis von Sachwörtern, die durch sog. Deskriptoren normiert sind, um eindeutige Strategien für das –> Speichern und Wiedereinschalten (storage and retrieval) zu gewährleisten (–> Computer). Die explosionsartige Vermehrung der Datenmengen im –> Internet läßt alle Versuche einer Anwendung des T.-Prinzips als aussichtsloses Unterfangen erscheinen. Der Trend geht deshalb zu ‘intelligenten’ Suchmaschinen (–> Künstliche Intelligenz), die ohne Vorab-Klassifikation des Datenpools die jeweils gewünschten –> Informationen ausfiltern sollen – mit entsprechenden Ambiguitätsproblemen.

 

G. Wersig, Thesaurus-Leitfaden. Eine Einführung in das Thesaurus-Prinzip in Theorie und Praxis, München/New York 1978.